Naeve, Detlev: 
Geschichte der Pflegeanstalt Heggbach
und des Kinderasyls Ingerkingen im Nationalsozialismus 1933-1945.
Zugl. Diss. Univ. Tübingen 1998.
(Broschiert, 268 S., 15 Dokumenten-Faksimiles, 20 Photographien) 
Eitorf: gata 2000. 

Die vorliegende Studie über die Geschichte einer Pflegeanstalt im Nationalsozialismus versteht sich als ein Beitrag zur Erforschung der Verbrechen an geistig behinderten und psychisch kranken Menschen.
Die menschenverachtende Ideologie der Minderwertigkeit psychisch kranker Menschen, die Zwangssterilisation von schätzungsweise 350.000 Menschen und der gezielte Mord von mindestens 100.000 Kranken der Heil- und Pflegeanstalten, genannt "Aktion Gnadentod", fordern jeden heraus, der sich mit der Geschichte der Psychiatrie im 20. Jahrhundert beschäftigt. Ein solches Maß von Inhumanität bei der Behandlung des kranken Menschen kann als ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Medizin gesehen werden. Versteht man die Entwicklung zur Inhumanität jedoch als ein Moment der Kontinuität in der Geschichte von Pflegen und Ausgrenzen, von Hilfe und Kontrolle, bedarf der Weg, den die Psychiatrie im Zeichen von Eugenik, Rassismus und "Euthanasie" beschritten hat, der Deutung. Hier möchte ich aber nur indirekt durch die beispielhafte Darstellung der langfristigen Entwicklung einer Verwahreinrichtung für behinderte Menschen zur gegenwärtigen Theoriediskussion beitragen. Schwerpunkt der Arbeit bildet vielmehr die wissenschaftliche Aufarbeitung eines aus Archivalien gewonnenen "Materials" zur Rekonstruktion einer Anstaltsgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus. Wertende Abschnitte und Querverweise zur aktuellen Theoriediskussion ("Heilen und Vernichten", "Endlösung der sozialen Frage" und "Psychiatriegeschichte und Modernisierung") erscheinen jedoch sinnvoll. Dabei sei bemerkt, daß die Geschichtsschreibung nicht über die Vergangenheit richten, sondern sie verstehen sollte. Dies schließt Wertungen nicht aus.
Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gebieten die Last der Geschichte und ihre Forderung an uns, aus ihr zu lernen. Auch wirft die Geschichte des Umgangs mit behinderten Menschen ihren Schatten bis auf den heutigen Tag: Die Diskussion über Sterbehilfe, Katastrophenmedizin oder Bioethik sollte nicht ohne das Bewußtsein von der NS-Euthanasie geführt werden.
Gegenstand meiner Untersuchung sind die "Pflegeanstalten" Heggbach und Ingerkingen, die sich der Pflege und Verwahrung mehrfach behinderter und chronisch kranker Menschen verschrieben hatten. Als Einrichtungen der katholischen Caritas wurden sie von Ordensschwestern geleitet; auf der Ebene der staatlichen Verwaltung galten sie als Privatanstalten, die in medizinischer Hinsicht der Oberaufsicht der Landesregierung unterstanden. Die medizinische Versorgung der Kranken leistete ein praktischer Arzt aus Biberach. Anders als die Heilanstalten, die für die Akutversorgung ihrer Kranken über einen Stab von Fachärzten verfügten, wurden die Pflegeanstalten zumeist von Nichtfachärzten im Nebenamt betreut. Hieraus ergibt sich eine wichtige Fragestellung der vorliegenden Arbeit: Wie sah die medizinische Versorgung von Kranken aus, die nicht nur am Rande der Gesellschaft, sondern auch am Ende der Skala psychiatrischer Rehabilitationsfähigkeit standen? Welche Veränderungen ergaben sich hierbei durch die Bedingungen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik?
Entsprechend dem Charakter einer Anstaltsgeschichte handelt es sich bei dieser Arbeit um eine regionalgeschichtliche Untersuchung, die sich sozialgeschichtlichen Methoden verpflichtet fühlt. Diese beinhalten die Erhebung von Personen- und Sozialdaten aus Krankengeschichten sowie die retrospektive Erkundung von Geschehenem durch die Methode der "oral history".
Eine Anstaltsgeschichte als Fallgeschichte kann nur vor dem Hintergrund des komplexen Geschehens staatlicher und kommunaler Politik verstanden werden. Mir erscheint daher die Einbettung des "Falles" Heggbach/Ingerkingen in den umfassenderen historischen Kontext geboten. Es soll auch der Rahmen einer reinen "Opfergeschichte" einer Einrichtung gesprengt werden, damit übergeordnete Zusammenhänge verdeutlicht werden können.
Dem gewählten Thema entsprechend lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Erforschung der Verbrechen der Zwangssterilisierung und "Euthanasie".
Folgende weitere inhaltliche Aspekte waren von Interesse:

Die Darstellungsweise ist narrativ. Zur Beantwortung bestimmter Fragen werden folgende Methoden verwandt:
 
Buch: ISBN 3-932174-75-5 14,98 Euro

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