Leseprobe
(Inhaltsverzeichnis und Schlußbetrachtung)
Naeve, Detlev:
Geschichte der Pflegeanstalt Heggbach
und des Kinderasyls Ingerkingen im Nationalsozialismus 1933-1945.
Zugl. Diss. Univ. Tübingen 1998.
Eitorf: gata 2000. |
Inhalt
1. Einleitung
2. Eugenik, Zwangssterilisierung und NS-Euthanasie
2.1. Voraussetzungen, Entwicklungen und machtpolitische Durchsetzung
der NS-Zwangsmaßnahmen
2.2. Die zweite Phase der "Euthanasie": Katastrophenplanungen, "Aktion
Brandt", Reorganisierung der Psychiatrie
3. Entstehung und Geschichte der Anstalten Heggbach und Ingerkingen
1887-1941
3.1. Heggbach 1887-1941
3.2. Ingerkingen 1912-1941
3.3. Die Therapie
3.4. Der Anstaltsarzt
4. Zwangssterilisierung
4.1. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" - seine
Bestimmungen und seine Durchführung in Biberach 1934-1941
4.2. Die Durchführung der Sterilisierung in Heggbach und Ingerkingen
4.3. Fallbeschreibungen der Sterilisationsopfer in Heggbach
4.4. Fallbeschreibungen der Sterilisationsopfer in Ingerkingen
5. NS-Euthanasie 1939-1944
5.1. Transporte Heggbacher Patienten nach Grafeneck 1940
5.1.1. Das Verfahren
5.1.2. Die Transporte
5.1.3. Die Beteiligten
5.1.4. Zeitzeugnisse
5.1.5. Filmaufnahmen
5.1.7. Reaktionen der Angehörigen
Anhang:
Lebensbild 1
Lebensbild 2
5.2. Transporte der Kinder aus Ingerkingen 1940
Exkurs:
5.3. Transporte Heggbacher Patienten nach Hadamar 1941
Exkurs:
Exkurs:
5.5. Kindereuthanasie 1942-1944 - Maßnahmen und Gegenwehr
Exkurs:
Exkurs:
Exkurs:
5.6. Lebensbild
Exkurs:
5.7. Verhalten der Anstaltsleitung angesichts der Krankenmorde - Versuch
einer Deutung
6. Die jüdische Abteilung in Heggbach 1939-1941
6.1. Die Asylierung der jüdischen Patienten Württembergs
1939-1941
6.2. Auflösung der jüdischen Abteilung und Deportation zur
Vernichtung 1942-1945
6.3. Lebensbild
7. Erfassungen und Planungen zwischen Anstaltsreform und Katastrophenmedizin
1942-1945
7.1. Erfassungen und Planungen der T°4-Zentrale 1942-1943
7.2. Katastrophenmedizin und Reorganisierung des Anstaltswesens 1942-1945
8. Heggbach und Ingerkingen nach der Euthanasieaktion - Geschichte
der Anstalten 1941-1945
8.1. Neubelegungen in Heggbach und Ingerkingen
8.2. Lebensbilder:
Lebensbild 1
Lebensbild 2
8.3. Kriegsende in Heggbach und Ingerkingen
9. Schlußbetrachtung
10. Zusammenfassung
11. Verzeichnis der Tabellen, Dokumente und Abbildungen
Tabellen
Dokumente
Abbildungen
12. Abkürzungsverzeichnis
13. Quellen- und Literaturverzeichnis
13.1. Quellenverzeichnis
13.2. Literatur
a) Literatur vor 1945
b) Literatur nach 1945
9. Schlußbetrachtung
Im Rückblick zeigen sich folgende Ergebnisse, Probleme und offene
Fragen, die diskutiert werden sollen.
Heggbach war als eine Bewahreinrichtung für "Schwachsinnige, Epileptische
und unheilbar Kranke" Ende des letzten Jahrhunderts (1887) gegründet
worden. Die Einrichtung beherbergte Langzeitpatienten, die einer Therapie
nicht oder nicht mehr zugänglich waren. 1912 wurde für die geistig
und mehrfach behinderten Kinder -- in zeitgenössischer Sprache die
sog. "Epileptischen" und "Idioten" -- das Kinderasyl Ingerkingen als Dependance
gegründet. Als Anstalten der freien Wohlfahrtspflege waren sie der
staatlichen Aufsicht unterworfen, welche die Zentralleitung für das
Stiftungs- und Anstaltswesen in Stuttgart in fürsorgerischer und das
Württembergische Innenministerium in medizinischer Hinsicht wahrnahm.
Als Einrichtungen der katholischen Caritas standen sie auch im Spannungsfeld
des Verhältnisses von Staat und Kirche.
Die Auswertung der Krankenakten lassen ein System der Betreuung und
Versorgung der Kranken erkennen, wie es für Pflegeanstalten kennzeichnend
war. Die Führung der Akten und der Sprachduktus der Aufzeichnungen
zeigen, daß die "Pfleglinge" primär als Pflegefälle gesehen
und betreut wurden -- auch ärztlicherseits. Eine neurologisch-psychiatrische
Begutachtung der Patienten fand nicht statt, galten sie als "unheilbar"
und als aus der Heilanstalt abgeschobene hoffnungslose Pflegefälle.
Eine medizinische Grundversorgung war gewährleistet. Sie erfolgte
durch Dr. Ehmann, praktischer Arzt aus Biberach und Anstaltsarzt im Nebenamt.
Die beschriebene Versorgungsqualität darf als Standard in Pflegeanstalten
jener Zeit gelten. Der Stellenwert der Medizin im System der Grundversorgung
war im untersuchten Zeitraum gleich geblieben. Staatlicherseits gab es
in der Zeit des Nationalsozialismus auch kein Interesse an einer Medizinalisierung,
da konfessionelle Anstalten aufgegeben werden sollten. Damit ergibt sich
eine Differenz zu den Heilanstalten, die sich entweder dem staatlichen
Druck zur "wilden Euthanasie" oder der Verpflichtung zu den Schocktherapien
ausgesetzt sahen. Zur Einschätzung und Beurteilung der Versorgungsleistungen
der Pflegeanstalten wäre ein Vergleich unter ihnen aufschlußreich.
Der Anstaltsarzt stand im Spannungsfeld seiner parteipolitisch engagierten
Kollegen in Biberach, die ihn als ehemaliges Zentrumsmitglied von öffentlichen
Ämtern ausschlossen. Er unterlag im Kräftespiel, als Ingerkingen
als Pflegeeinrichtung für behinderte Kinder geschlossen wurde und
er seine Aufgabe eines Anstaltsarztes bei den Kindern an den Kollegen,
der dem "Amt für Volksgesundheit" vorstand, abgeben mußte. Weitere
Einsichten in diese Machenschaften wären möglicherweise durch
das Studium der Akten lokaler Archive zu gewinnen.
Einschneidende Veränderungen für die Anstalten, ihr Pflegepersonal
und die Kranken ergaben sich durch die Konfrontation mit der Zwangssterilisierung
und der "Euthanasie".
Das GzVeN wurde seit dem 1. Januar 1934 auch in den Heil- und Pflegeanstalten,
Pflegeanstalten und Fürsorgeheimen durchgeführt. Dauerverwahrung
in geschlossenen Anstalten machte die Sterilisierung überflüssig,
Entlassungen setzten dagegen die Sterilisierung voraus. Die Erarbeitung
der für die Frage nach der Sterilisierungshäufigkeit relevanten
Akten der Einrichtungen (ärztliche Jahresberichte) und des Gesundheitsamtes
(Erbgesundheitsverfahren) erbrachte als Resultat, daß "nur" ein sehr
geringer Anteil der Kranken, nämlich 0,45% in Heggbach und 1,6% in
Ingerkingen, sterilisiert wurden. Als Gründe für die verhältnismäßig
niedrige Sterilisationsquote ergaben sich folgende:
- Der überwiegende Anteil der Patienten war auf Dauer anstaltsverwahrt,
Entlassungen mit der Folge der Sterilisierung erfolgten selten.
- Viele Patienten waren mehrfach- und schwerbehinderte Menschen, die
aufgrund der Schwere ihrer Behinderung als nicht fortpflanzungsfähig
galten.
- Die wenigen Patienten, die im fraglichen Zeitraum tatsächlich
entlassen wurden, waren wegen ihres hohen Alters nicht mehr vom GzVeN betroffen.
Die Indikationen der in Ingerkingen durchgeführten Sterilisierungen
an Jugendlichen waren nicht zu klären; vielleicht wurde ihnen ein
relativ offener Umgang in oder außerhalb der Anstalt zugestanden.
Fast alle sterilisierten Kinder und Jugendliche wurden Opfer der "Euthanasie"
-- ein Befund, der der in der Literatur genannten Tendenz, wonach die Entlassungsfähigen
sterilisiert und die dauerverwahrten schwerkranken Patienten getötet
wurden, widerspricht. Die geringe Zahl der in Heggbach und Ingerkingen
durchgeführten Sterilisierungen lassen jedoch allgemeingültige
Aussagen nicht zu. In Heilanstalten wurde das GzVeN gründlich durchgeführt,
für Pflegeheime liegen bisher jedoch kaum Daten vor, so daß
man von einem Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen Erkenntnisse erwarten
dürfte.
Das Studium der Akten erbrachte, daß die Anstaltsleitungen in
Heggbach und Ingerkingen gegenüber der Durchführung des GzVeN
große Zurückhaltung zeigten. Die Gesundheitsämter gingen
daher 1937 dazu über, Anzeigen und Anträge durch Vorlage der
Aufnahmepapiere selbst vorzunehmen. Die leitende Schwester in Ingerkingen
kam der gesetzlich vorgeschriebenen Anzeigepflicht in wenigen Fällen
nach. Die Anzeigen wurden vom Landesjugendarzt Dr. Eyrich, der bei den
Kindern die Funktion eines Amtsarztes ausübte und selbst anzeigte,
an das Gesundheitsamt weitergeleitet. Dr. Ehmann war weder ärztlicher
Beisitzer in einem Erbgesundheitsgericht -- wofür er aus parteipolitischen
Gründen nicht in Frage kam -- noch Antragssteller für seine Kranken.
Dies darf jedenfalls angenommen werden, da Anzeigen oder Anträge durch
ihn in den Akten nicht gefunden werden konnten.
Der "Euthanasiebeschluß" vom Herbst 1939 wurde in Heggbach im
Herbst 1940 umgesetzt. Mit den Todestransporten nach Grafeneck waren die
Anstalten in ihrer Existenz bedroht, der Sinn der Arbeit von Ärzten,
Schwestern und Pflegern in Frage gestellt. Mit 173 Euthanasieopfern lag
der "Blutzoll" in Heggbach etwa gleich hoch wie in anderen Anstalten (58%
der Patienten bei Vollbelegung). Nachforschungen in der damaligen Zwischenanstalt
Zwiefalten erbrachten, daß "nur" 171 Patienten getötet worden
waren, da 2 Patientinnen in der Zwischenanstalt vor der Weiterverlegung
nach Grafeneck starben. Sie dennoch zu den Euthanasieopfern zu zählen,
scheint berechtigt, da sie durchaus an den Strapazen des Transports oder
an den Pflegebedingungen in der überfüllten Zwischenanstalt gestorben
sein könnten.
Die Selektionen der Kranken durch die Ärzte aus Stuttgart und
Grafeneck sind auch für andere Einrichtungen belegt. Nach den selbstrechtfertigenden
Aussagen der Täter sollten sie die "Auslese" verbessern, in Wahrheit
wurden die absichtlich zu hoch angesetzten Listen auf die notwendigen 75
Namen (Transportkapazität von 3 Bussen) "herunterselektiert". Ein
Vergleich der Namen der zunächst für das Überleben selektierten
Patienten mit denjenigen des letzten Transports zeigt, daß dieser
nur dazu diente, die Freigegebenen letztlich doch noch zu töten. Ob
dieses Täuschungsmanöver, welches zunächst Hoffnungen bei
den Anstaltsleitern geweckt hatte, Patienten retten zu können, vom
Ministerium in Stuttgart oder von der T°4-Zentrale in Berlin inszeniert
wurde, läßt sich nicht sagen.
Eine Besonderheit war in Erfahrung zu bringen: Die nach Zwiefalten
zwischenverlegten Patientinnen wurden vor ihrer Weiterverlegung nach Grafeneck
und ihrer Tötung als "Objekte" der NS-Propaganda noch gefilmt.
Die Verlegung von 72 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus
Ingerkingen in die Tötungsanstalt Grafeneck erscheint unter zwei Gesichtpunkten
bemerkenswert:
1. Kinder wurden genauso wie erwachsene Psychiatriepatienten in die
T°4-Aktion einbezogen, bevor sie ab Frühjahr 1941 nach und nach
in die Kinderfachabteilungen zur Beobachtung und Tötung eingewiesen
wurden.
2. Das Kinderasyl wurde praktisch liquidiert, da intentional alle Kinder
deportiert wurden. An die Auflösung Ingerkingens war -- so meine These
-- als Zweck oder zumindest als unmittelbare Folge der Todestransporte
gedacht. Völlig unerforscht ist die Frage eines möglichen Zusammenspiels
der NSV, die das Kinderasyl übernommen hatte, und der Euthanasiezentrale
im Vorfeld der Transporte. Die konfessionelle Anstaltpflege war nicht nur
der T°4, sondern auch der NSV ein Dorn im Auge. Somit stellt sich die
Zweckentfremdung als ein Schlag gegen die behinderte Menschen wie gegen
die katholische Kirche dar.
In die Endphase der T°4-Aktion gehören die Todestransporte
über Weinsberg nach Hadamar 1941. Wahrscheinlich sollte durch den
Abtransport der "noch nicht behandelten Fälle"1
die Aktion in Württemberg zum Abschluß gebracht werden. Die
verantwortlichen Leiter in Stuttgart, die sich zu dieser Zeit schon dem
Druck der öffentlichen Meinung ausgesetzt sahen, gestatteten den Anstaltsleitern
etwas mehr Flexibilität bei der Auswahl der Patienten, wofür
sie von der Euthanasiezentrale auch prompt gerügt wurden -- wie hier
durch ein Briefdokument gezeigt werden konnte.
Selektionskriterien wurden anhand eines Vergleichs der Meldebogeneinträge
der positiv und negativ begutachteten Patienten erarbeitet. Die Auswertung
erbrachte, daß allein die Arbeitsfähigkeit zählte, während
Angehörigenkontakte keine Rolle spielten. Arbeitsfähigkeit als
Überlebenskriterium galt für den kranken Menschen in gleicher
Weise wie später für die Zwangsarbeiter und Häftlinge der
Konzentrationslager. Diese Hierarchie spiegelt ein fundamentales Prinizip
der Ausbeutung des "Leistungsfaktors Mensch" für die "Volksgemeinschaft"
im NS wider.
Lebensschicksale Heggbacher Patienten wurden exemplarisch dargestellt.
Beurlaubungen und "Entführungen" nach Hause scheinen in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Tötungsaktion zu stehen, auch wenn dies im Einzelfall
nicht bewiesen werden kann. Anhand von Fallbeschreibungen wurde gezeigt,
wie unterschiedlich der Ausgang zweier "Entführungen" aus der Anstalt
aussehen konnte -- ein Kind überlebte zu Hause die NS-Zeit, ein anderes
fand in einer Kinderfachabteilung den Tod. Durch akribisches Nachforschen
gelang es, das Schicksal und den Verlegungsweg dieses Kindes zu rekonstruieren
und seinen gewaltsamen Tod aus den Quellen nachzuweisen.
Die sog. zweite Phase der "Euthanasie" war in Württemberg durch
die Maßnahmen des Erfassens und Planens in den Jahren 1942-1944 gekennzeichnet.
Verlegungen im großen Umfang fanden nicht statt. Die aufgeweckte
öffentliche Meinung, unterstützt durch das Auftreten der Bischöfe,
und die Konzentrierung auf die Kriegsführung ließen der NS-Regierung
eine erneute Auseinandersetzung mit der "Euthanasie" nicht ratsam erscheinen.
1942 sollten die Anstaltspatienten wiederum flächendeckend durch halbjährliche
Meldungen nach Berlin erfaßt werden. Erfassen und Planen erfolgten
nunmehr unter den Gesichtspunkten der Tötungsoption und der Zweckumdeutung
der Anstaltsplätze für katastrophenmedizinische und kriegswirtschaftliche
Ziele. Die hierfür angereiste "Planungskommission für Württemberg"
registrierte in Heggbach unter den Patienten nur "niederstes Material"2.
Die Auswertung der Quellen erbrachte, daß aufgrund des völligen
Fehlens einer katastrophenmedizinisch oder kriegswirtschaftlich relevanten
Infrastruktur Heggbach für eine Zweckumdeutung nicht in Frage kam.
Letztlich verdankte dies Heggbach seiner zufälligen abgeschiedenen
Lage.
In den Rahmen der Massenverlegungen und Tötungen gehört als
weniger bekannter Punkt die Aussonderung der Juden in die Anstaltspflege
und ihre Ermordung im Rahmen der T°4-Aktion. Die Diskussion der "Arisierung"
der Krankenanstalten führte zur Schaffung von Anstalten, die nur für
jüdische Patienten bestimmt waren. Heggbach und Zwiefalten hatten
eine Abteilung für Juden einzurichten. Das Schicksal der in den Anstalten
nach der T°4-Aktion noch verbliebenen Juden wurde durch die Deportationen
in den Osten besiegelt, die somit einen Teil des Genozids der jüdischen
Bevölkerung darstellen. Mit Hilfe der von Paul Sauer dokumentierten
Schicksale jüdischer Bürger in Württemberg3
konnten die Verlegungen und Deportationswege der Juden in Heggbach beschrieben
werden.
Kaum erforscht sind die Lebensbedingungen für die Patienten in
den Anstalten Württembergs in der Endphase des Dritten Reichs. Für
Zwiefalten liegen Dokumente vor, Ergebnisse wurden hier zusammengetragen
und veröffentlicht4. Wirtschaftsdaten
zur Einschätzung der Situation in Heggbach lagen mir nicht vor. Die
Kriegsbewirtschaftung hatte überall ihren Tribut verlangt. So wurden
pflegeintensive Patienten gezwungen, in Doppelstockbetten zu liegen. Der
Anstaltsplatz wurde wegen der Zweckentfremdung immer knapper, die schlechte
Lebensmittelversorgung und die Kohleknappheit haben Morbidität und
Mortalität sicherlich steigen lassen. Es bleibt zu hoffen, daß
eine noch zu schreibende Psychiatriegeschichte Württembergs sich auch
dieses Kapitels annehmen wird5. Eine
"Reform" der Psychiatrie, mit der die T°4-Ärzte Nitsche, Schneider
und de Crinis Spezialeinrichtungen für das "Heilen" und das "Vernichten"
verbanden6, erwies sich in dieser Situation
-- so meine These -- als undurchführbar.
Die Spanne in der Beurteilung des Verhaltens der Anstaltsleitungen
angesichts der Todestransporte reicht in der wissenschaftlichen Literatur
von der Glorifizierung bis zur vernichtenden Kritik. Eine subjektive Wertung,
die auch ungewollt bei jeder Annäherung an das Thema vorliegt, sollte
sehr behutsam erfolgen, da die Perspektiven gewechselt haben und die Situation
für die Betroffenen subjektiv -- und möglicherweise auch objektiv
-- alternativlos war. Für Heggbach wie für fast alle Einrichtungen
läßt sich feststellen, daß man sich einem pragmatischen
Kurs verschrieben hatte: Verhandeln, Verstecken, Zeugnisse fälschen.
Die Handlungen entsprangen einer inneren Haltung, die man in Anlehnung
an Broszat7 als "Resistenz" bezeichnen
kann.
Mehrfach wurde in der Literatur auf die spezifische geistige Immunität
des katholischen Milieus gegen den Nationalsozialismus hingewiesen. Eine
mentalitätsgeschichtliche Erarbeitung dieses Komplexes erscheint mir
jedoch gewagt; resistentes Verhalten gab es in vielen Einrichtungen unterschiedlicher
Konfession.
Der pragmatische Kurs verweist auf einen ethischen Aspekt: Jedes Verhandeln
mit den Tötungsärzten implizierte eine Verstrickung in das NS-Wertesystem
und somit eine Mitschuld an der Preisgabe der Schwächsten. Selbst
wenn man die Alternativlosigkeit der Situation und die Unmöglichkeit
der Totalverweigerung akzeptiert, sollte man -- ohne den Verantwortlichen
einen Vorwurf zu machen --diesen Aspekt nicht übersehen. Er wurde
jedoch von den meisten Verantwortlichen auch nach 1945 nicht gesehen oder
als Bekenntnis formuliert.
Fußnoten
1 Wortlaut der Vernehmung von Dr.
Otto Mauthe im Grafeneckverfahren, StA Sigmaringen, a.a.O., s. Kapitel
5.3.
2 Planungsfahrt Württemberg
1942, BAK, a.a.O., s. Kapitel 7.
3 Sauer (Dokumente, 1966).
4 May, Johannes, Südtiroler
Kranke in Zwiefalten und Schussenried und ders.: Die staatliche Heilanstalt
Schussenried in den Jahren 1933 bis 1945 (mit Zahlen und Tabellen für
Zwiefalten), in: Pretsch (1996), S.°69-83.
5 In Aussicht steht eine Arbeit Heinz
Faulstichs über das Hungersterben in den psychiatrischen Anstalten
1914-1949.
6 Schmuhl (1995), S.°255 und
Anm. 22 auf S.°255.
7 Broszat (1981).
Als Studierende, Bibliotheken, Arbeitslose o.ä.
erhalten Sie einen Rabatt von einem Drittel des Verkaufspreises, d.h. Sie
können das Buch für 10 Euro kaufen, wenn Sie direkt bei uns bestellen.
Weitere Infos, Bedingungen, Adressen hier
oder Online-Bestellung per eMail jetzt.
URL:http://www.gata-verlag.de/prob75.htm; Stand: 07.06.2002
zurück zur Publikationsliste
---
zurück zur Verlagshomepage
---
Kontakt