Leseprobe

 
Heinen, Norbert und Tönnihsen, Gerd (Hrsg): Rehabilitation und Rentabilität -
Herausforderungen an die Werkstatt für behinderte Menschen.
Mit Beiträgen von Caroline Hauf, Esther Hövelmann, Andreas Laumann, Claudia Marquardt, Caren Michels u. Thorsten Zöller.
(Broschiert)
Eitorf: gata 2002. 



Inhalt

Norbert Heinen / Gerd Tönnihsen:
Entwicklungen und Tendenzen in der Werkstatt für behinderte Menschen – Anmerkungen zu einer Standortbestimmung

Caroline Hauf und Claudia Marquardt:
Fortbildung°--
(k)ein Thema in der Werkstatt für behinderte Menschen?!

Esther Hövelmann und Andreas Laumann:
„Ruhestand? Na klar freue ich mich! Aber den ganzen Tag?“°--
Altwerdende und alte Menschen mit geistiger Behinderung
im Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand

Caren Michels:
Zur Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten einer
Werkstatt für behinderte Menschen

Thorsten Zöller:
Vorüberlegungen zur Konzeption für den
Orientierungsbereich einer WfbM



Norbert Heinen / Gerd Tönnihsen
"Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,
der andere packt sie kräftig an und handelt."
(Dante Alighieri)

Entwicklungen und Tendenzen in der Werkstatt für behinderte Menschen – Anmerkungen zu einer Standortbestimmung

1. Zur Entstehungsgeschichte der WfbM

Die Einrichtung von Werkstätten für Menschen mit geistiger Behinderung zu Beginn der 60er Jahre ist weitgehend auf die Initiative der BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE zurückzuführen, die das Konzept der "Beschützenden Werkstatt" entwickelte und dessen Realisierung vorantrieb. Eine Beschleunigung erfuhr diese Entwicklung durch das Bundessozialhilfegesetz von 1961, das die Werkstätten mit Heimen und Anstalten gleichstellte. Bereits 1968 existierten 140 Werkstätten mit ca. 5300 Mitarbeitern. Während in dieser Anfangsphase keine Aufnahmekriterien galten, die einen Ausschluss von schwerbehinderten Menschen vorsahen, änderte sich die Konzeption mit der 1974 durch Anwendung des Schwerbehindertengesetzes vollzogenen Umwandlung der "Beschützenden Werkstatt" in die "Werkstatt für Behinderte" dahingehend, dass nunmehr als Aufnahmekriterium das Erbringen eines "Mindestmaßes an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" galt, womit die Gefahr verbunden war, Menschen, die dieses Kriterium nicht erfüllen können, auszuschließen und die Errichtung von alternativen Einrichtungen in Form von Tagesförderstätten durchzusetzen (vgl. SAVELSBERG 1987, 12f). Seitdem zeigt sich in der Bundesrepublik ein uneinheitliches Bild: Während ein Teil der Werkstätten diesen Personenkreis aufnehmen und ihnen durch Teilhabe an Produktionsprozessen einen Dauerarbeitsplatz bieten, besuchen sie anderenorts den Werkstätten zugeordnete oder sie ersetzende Tagesförderstätten, in denen sie betreut und gefördert werden, um ihnen durch diese Maßnahmen gegebenenfalls einen Wechsel in die Werkstatt für Behinderte zu ermöglichen.
Durch die mit der Sozialhilferechtsreform im Jahre 1996 einhergehenden Kürzungen der Finanzmittel für die Werkstätten wurden bis zu diesem Zeitpunkt erkämpfte Standards zum Teil wieder rückgängig gemacht oder in ihrer Realisation erschwert. Die parallel vollzogenen Veränderungen des Schwerbehindertengesetzes schrieben schließlich die Rechtsstellung, die Mitwirkungs- und Entgeltansprüche der Beschäftigten fest, konnten jedoch den Leistungsabbau in einigen Bundesländern nicht verhindern.
Zwar fand sich das 1994 in Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes durch den Zusatz "Niemand darf wegen Behinderung benachteiligt werden" festgeschriebene Verbot der Benachteiligung in den folgenden Jahren in verschiedenen weiterführenden Gesetzen und Erlassen wieder, für den Bereich der Arbeit wurden allerdings erst im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) notwendige gesetzliche Grundlagen geschaffen, die sich an der Reformpolitik der 70er Jahre orientieren. Dieses neue am 1.7.2001 in Kraft getretene Rehabilitationsgesetz regelt die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen und bezieht sich im 5. Kapitel auf das Arbeitsleben, indem es u.a. die Konzeption der Werkstätten festlegt, den Rechtsstatus der behinderten Menschen in den Werkstätten definiert, die Grundsätze der Förderung beschreibt, die Art und die Höhe des Entgeltes bestimmt und die Möglichkeiten der Mitwirkung regelt. Zudem ist durch das SGB IX eine Namensänderung von "Werkstatt für Behinderte" in "Werkstatt für behinderte Menschen" festgelegt worden.
Die rechtlichen Neuregelungen wurden nicht nur wegen der vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen notwendig, sondern haben ihre Ursache im besonderen in Entwicklungen, die die Werkstätten seit ihrer Gründung in den 60er Jahren erfahren haben. In dieser Zeit hat sich nicht nur die Zahl der Beschäftigten vervielfacht, sondern es hat sich zudem eine Heterogenität in den Formen der Behinderungen bei den Beschäftigten ergeben.


Tabelle 1 (vgl. BAG 2001)
 


Tabelle 2 (vgl. BAG 2001)

Fanden in den ersten Jahren zunächst vornehmlich Menschen mit geistiger Behinderung in der Werkstätten einen Arbeitsplatz, konnten in den folgenden Jahren immer mehr Menschen in die Werkstatt aufgenommen werden, denen der allgemeine Arbeitsmarkt keinen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten konnte oder wollte. Einen weiteren Aspekt stellt die Altersstruktur der meisten Werkstätten dar, die sich sowohl in ihrer bisherigen Entwicklung als auch in der gegenwärtigen Alterspyramide aufgrund unserer Geschichte von der anderer Betriebe unterscheidet.
 


Tabelle 3 (vgl. BAG 2001)

Die skizzierten Erhebungen und die sich abzeichnenden Entwicklungen lassen notwendige Aufgaben erkennen, die sowohl werkstattintern - abhängig vom jeweiligen Standort und Werkstattträger - als auch werkstattübergreifend konzeptionell gelöst werden müssen, um allen Beschäftigten eine berufliche Zukunft zu garantieren, die sowohl den ökonomischen als auch den rehabilitativen Erfordernissen gerecht wird. Die gegenwärtigen Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt deuten darauf hin, dass die Werkstätten nicht nur hinsichtlich der Zahl der Beschäftigen weiter wachsen werden, sondern auch bezüglich der Heterogenität der behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Veränderungen erfahren werden, die neuer grundlegender Entscheidungen bedürfen, um den individuellen Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht werden zu können.
 

2. Gegenwärtige Situation aus ökonomischer und sozial-rehabilitativer Sicht und Perspektiven für die Zukunft

2.1 Ökonomische Sicht
Selten sind marktwirtschaftliche Strukturen und Ordnungen so gefordert worden wie in der gegenwärtigen Zeit. Der dynamisch fortschreitende Wandel in den Technologien, die Intensivierung des Wettbewerbs auf allen Märkten und der wachsende Umfang des weltweiten Austausches von Wissen über das Internet führen zu immer neuen Spielregeln – auch für Werkstätten für behinderte Menschen.
Die Einführung des prospektiven Pflegesatzes in 1996 und die damit einhergehenden finanziellen Veränderungen und die Abkehr von liebgewordenen Strukturen der bequemen staatlichen Vollkostensubventionierung leiteten auch in Werkstätten für behinderte Menschen einen Umdenkungsprozess ein. In starkem Maße sind nicht mehr zeitgemäße Handlungen aufzubrechen und wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund zu schieben. Dies setzt voraus, dass die Verantwortlichen in den WfbM ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume in die Hand nehmen, ein aussagefähiges Informations- und Kostenmanagement einrichten und über den eigenen Tellerrand sich mit anderen WfbM austauschen.
Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion im Zuge der Globalisierung der Märkte in ausländische Produktionsstätten. Werkstätten für behinderte Menschen verlieren auf diese Weise in erster Linie Lohn- und Auftragsarbeiten. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts konkurrieren WfbM mit Billiglohnländern und deren Dumpingpreisen. Werkstätten für behinderte Menschen stehen stärker denn je im Wettbewerb mit anderen Unternehmen und gelegentlich selbst untereinander in Konkurrenzbeziehung. Aber, kann Wettbewerb nicht auch eine Chance für eine unternehmerische Ausrichtung bedeuten und belebend wirken?
Die Konzentration der Unternehmen auf ihre eigentlichen Kerngeschäfte und der Drang zum Outsourcing schließen die unternehmerische Forderung nach mehr und mehr Dienstleistungen von Dritten aus einer Hand ein. Diese Anforderungen können WfbM nur durch Ausweitung der Wertschöpfungskette und durch einen zentralen Ansprechpartner erfüllen. Bedeutsam ist dieser Trend vor allem für den Sektor der Lohn- und Auftragsarbeit; und WfbM sind gut beraten, eine Vielzahl von logistischen Aktivitäten zu übernehmen, wie beispielsweise Transportdienstleistungen, Lagerhaltung und Beschaffung der Materialien, verknüpft mit dem Aufbau von leistungsfähigen IT-Strukturen und einem Warenwirtschaftssystem, wodurch die Kundenbindung zusätzlich gefestigt wird.
Je mehr die Mitfinanzierung der öffentlichen Hand schrumpft, desto mehr schaffen gute Umsatz- und Ertragsdaten die Grundlage für unternehmerische Entscheidungen und stärken auch auf diese Weise die zur Erfüllung des sozial-rehabilitativen Auftrags notwendigen Maßnahmen. Dabei fällt der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb von marktfähigen Gütern und/oder die Intensivierung des Dienstleistungsbereichs in WfbM eine besondere Rolle zu, die eigene Finanzkraft zu festigen und die Abhängigkeit von lohn- und auftragsgebenden Unternehmen zu reduzieren. Ohne den aus Umsatzerlösen gewonnenen finanziellen Spielraum sind eine Vielzahl von sinnvollen und qualifizierten Bildungsmaßnahmen und arbeitsbegleitenden Aktivitäten für Menschen mit Behinderung(en) in WfbM auf Sicht gefährdet.

Von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der Werkstätten für behinderte Menschen sind die unternehmerischen Rahmenbedingungen. Gerade hieraus leiten sich die Erwartungen und Perspektiven ab:

Die Werkstätten für behinderte Menschen benötigen neben Kapital und beherrschbaren Maschinen insbesondere Ideen, die zu marktfähigen Produkten und Dienstleistungen führen und die auf Bedürfnisse und Wünsche der Kunden / des Marktes eingehen. Patentrezepte gibt es bekanntlich nicht, aber es gilt die Kreativität und die schöpferischen Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Nach dem amerikanischen Psychologen CZIKSZENTMIHALYI liegt Kreativität nicht allein im Individuum begründet, sondern es benötigt immer ein gesellschaftliches Umfeld, um sich gedeihlich entwickeln und entfalten zu können (vgl. ROSE 2001, 205). Kreativität und Innovation verlangen nach veränderten Organisationsstrukturen, die die Produktion von Ideen auf allen Unternehmensstufen einer WfbM fördern und nicht auf bestimmte Personen konzentrieren. Ein offenes Klima, die Bereitschaft, Fehler und Flops zuzulassen und hieraus die Kraft für neue intelligente Ideen zu finden, begünstigen den Prozess und schaffen das notwendige Arbeitsumfeld.
So wie in vielen Werkstätten für behinderte Menschen die nach der ISO-Norm zur Anwendung kommenden, typischen Verbesserungsvorschläge durch die Qualitätsbeauftragten geprüft, ausgewertet und wenn nötig nach Prüfung der Machbarkeit umgesetzt werden, läßt sich auf ähnliche Weise die Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern. Dieser Prozess unterstreicht zudem die Wertschöpfung im Unternehmen und stellt einen nicht zu verkennenden Wettbewerbsvorteil dar.
Unternehmerisches Denken in einer WfbM ist dann realisiert, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ideen einbringen können. Das immer schnellere Informationstempo und die anspruchsvollen Aufgaben fordern WfbM heraus, auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die betrieblichen Veränderungsprozesse permanent weiterzubilden; auch die Führungskräfte sind hiervon nicht auszuklammern. Verantwortungsbewusste Führungskräfte bringen sich aktiv in den Prozess der betrieblichen Weiterbildung ein, stellen neben ihren fachlichen Fähigkeiten vor allem ihre methodischen Fertigkeiten und sozialen Kompetenzen auf den Prüfstand und passen sich den Erfordernissen an. Nur wer als Führungskraft professionell und sinngebend die drei Säulen Fachwissen, methodische Fertigkeiten und soziale Kompetenz verknüpft, wird überzeugend führen und lenken.
Betriebliche Weiterbildung ist nicht nach dem Zufallsprinzip oder an spontan erschlossenen Finanzierungsquellen auszurichten. Qualifizierte Mitarbeiterweiterbildung ist notwendigerweise als dynamischer Prozess zu verstehen, orientiert sich an den Erwartungen des Marktes und berücksichtigt die Wünsche, Eigenschaften und Erwartungen des Personals und der Führungskräfte. Denn bekanntlich lagern Deutschlands wichtigste Schätze nicht im Boden, sondern in den Köpfen der Menschen. Es gilt also, durch sorgsames Handeln der Führungskräfte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu aktivieren und ihre Fähigkeiten zu nutzen. Die Methode, nach der betriebliche Weiterbildung angeordnet wird, zielt ins Leere.
Die erfolgreiche Ermittlung des betrieblichen Weiterbildungsbedarfs ist das Ergebnis eines partnerschaftlichen Führungsverhaltens. Wichtige Instrumente stellen die regelmäßigen Beurteilungsgespräche (mindestens einmal jährlich) und die hieraus abzuleitenden Zielvereinbarungsgespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar, die den ganzen Menschen im Blick haben. Die grundlegenden Werte des menschlichen Zusammenwirkens auf und zwischen den betrieblichen Ebenen in WfbM wie Offenheit, gegenseitige Wertschätzung, Fairness und eigenverantwortliches Handeln werden auf diese Weise im Sinne der gesteckten Ziele manifestiert. Gelebte Grundwerte sind die Quellen für den Erfolg sowie für die Arbeitszufriedenheit und entsprechen dem Bedürfnis des Menschen.

Als Seismograph für die Arbeitszufriedenheit eignet sich die turnusgemäße Durchführung von Mitarbeiterbefragungen (alle zwei bis drei Jahre). Die Aussagen und Ergebnisse sind eingehend zwischen Führungskräften, Betriebs- und fallweise Werkstattrat zu diskutieren und die darin sichtbar gewordenen Defizite durch verbesserte Maßnahmen auszuräumen.

Die Implementierung der Stelle einer/eines Fortbildungsbeauftragten im Organigramm drückt nicht nur den hohen Stellenwert in einer WfbM aus, sondern sie sendet auch ein deutliches Signal an das Personal aus: Die Mitarbeiterschulung ist ein fester Bestandteil des Unternehmens WfbM und der täglichen Arbeit. Der/dem Fortbildungsbeauftragten fällt eine gestaltende und vor allem aktive Rolle bei der Ermittlung und Optimierung des Weiterbildungsbedarfs zu. Im Sinne dieses Verständnisses muss er/sie intensiv die Zeichen der Zeit deuten und die durchgeführten Maßnahmen nach qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten (Soll-/Ist-Vergleich) analysieren. Somit kann eine Informationsschwemme an unsinnigen und überflüssigen Angeboten verhindert werden; bedarfsspezifische Weiterbildungsangebote können greifen.
Als Erfolgsvoraussetzung ist nicht allein die Akzeptanz, sondern vor allem das überzeugte Mittragen der betrieblichen Weiterbildung durch die Führungskräfte unerlässlich. Das bloße Angebot dieser Weiterbildung reicht dabei nicht aus, es gilt vielmehr die geistigen Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Unternehmen zeitnah abzurufen und das unternehmerische Handeln Aller in einer WfbM zu fördern. Werkstätten für behinderte Menschen, denen dies gelingt, haben zweifellos einen Konkurrenzvorteil. Auf die Bedürfnisse einer WfbM zugeschnittene Schulungsangebote, die sich für die Erarbeitung von Lösungen durch permanentes Lernen auszeichnen, sind kostspielig. Eine Chance für WfbM, Kosten zu senken, sind gemeinsame Zentren mit idealem Lernumfeld, die zeitgemäße Antworten auf drängende Herausforderungen geben, womit der Erkenntnis von Benjamin FRANKLIN: "Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen.", Rechnung getragen wird, da dieser vor rund 200 Jahren getätigte Ausspruch bis heute nichts von seiner Aussagekraft verloren hat.

Mitarbeiterorientierte Zielsetzungen haben primär zwei Bedeutungen: Die Einbindung des Personals in die betrieblichen Prozesse der WfbM und die Bereitschaft der Führungskräfte, Kompetenz und Verantwortung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu delegieren, ohne das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.
Zur Umsetzung konkreter Ziele und Aufgaben sowie zur effektiven Nutzung der Potenziale des Personals, eignet sich die Projektarbeit. Im Gegensatz zu Seminaren, Lehrgängen oder betrieblichen Großveranstaltungen, die hauptsächlich der Wissensvermittlung dienen, widmet sich eine Projektgruppe mit überschaubarer Stärke einer ausgewählten Thematik. Die Vorteile sind: Förderung der Teamfähigkeit, eigenverantwortliches Handeln, mehr Energie und Dynamik, Aktivierung der Leistungsreserven und unterschiedlicher Sichtweisen, die zu neuen Überlegungen und Gedanken anstiften. Bedeutsam für den Erfolg eines Projektes ist die Auswahl eines geeigneten Projektleiters (vgl. LIPP, U./ WILL, H. 2000). Die Wohlfahrtsverbände und deren angeschlossene Institutionen wenden in unterschiedlicher Form die Arbeits- und Vergütungsregeln des Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT) an. Kennzeichnende Faktoren für die Gehaltsfindung nach dem BAT sind der Familienstand und das Alter. Die fachliche Eignung, Leistung oder auch die berufliche Erfahrung finden im BAT nicht ausreichende Berücksichtigung. Leistungs- und einsatzbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfinden zunehmend diese Vergütung als ungerecht, weil ihre Anstrengungen nicht honoriert werden. Andererseits fehlen aber auch die Anreize für weniger leistungsbereite Personen, ihr Leistungsverhalten positiv zu verändern. Letztlich ist es auch für den Ruf und den Fortbestand einer WfbM von Bedeutung, motiviertes und gut ausgebildetes Personal auf dem Arbeitsmarkt zu gewinnen, dessen Leistungsbereitschaft dauerhaft zu erhalten und sich überzeugend den Kunden1 zuzuwenden.
Ein zielorientiertes Vergütungssystem – losgelöst vom BAT – sollte die folgenden Merkmale beinhalten:


Die gehaltliche Entwicklung hängt in erster Linie von der Wertigkeit der Aufgabe, die sich beispielsweise von der Stellenbeschreibung ableitet, und der Leistung (Erreichen von zuvor vereinbarten und auch erreichbaren pädagogischen und ökonomischen Zielen) ab. Die Einführung eines zielorientierten Vergütungssystems führt in der Regel nicht zur Personalkosteneinsparung, wohl aber zu einer effizienteren und leistungsgerechteren Neugestaltung des Kostenvolumens.
Schließlich sei an dieser Stelle angemerkt, dass bei aller Wertschätzung für ein zielorientiertes Vergütungssystem und finanzielle Leistungsanreize auch immaterielle Aspekte, wie sinnvolle und von der Führungskraft anerkannte Arbeit, Personen ernstnehmen oder Handlungsräume zulassen, den Grundstein für eine wertvolle Leistung in WfbM legen.

Die Kooperation gewinnt zunehmend auch für WfbM an Bedeutung und ist für deren stabile Weiterentwicklung wichtig. Die Zielsetzung für die Kooperation kann in der Erweiterung von Marktchancen, der Ausdehnung der Leistungsangebote, der Erzielung von Einkaufsvorteilen oder auch der Optimierung von Weiterbildungsaktivitäten und der arbeitsbegleitenden Maßnahmen liegen.
Gegenseitiges Vertrauen zwischen den kooperationswilligen WfbM, verlässliche Informationen und spürbare bzw. mittelfristig erkennbare Synergiepotenziale auf der Kostenseite sind als Voraussetzungen für eine Kooperation unabdingbar. Die Bekanntgabe der Kooperation zwischen Werkstätten für behinderte Menschen erzeugt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Unsicherheit und mitunter Ablehnung. Deswegen empfiehlt es sich, sie frühzeitig mit schlagkräftigen Argumenten zu überzeugen, dass eine Kooperation von WfbM – im Gegensatz zur Fusion – nicht die Aufgabe der unternehmerischen Eigenständigkeit einer WfbM bedeutet, sondern gemeinsam in bestimmten Sparten (beispielsweise im Einkauf, der Vermarktung von Eigenprodukten, der Produktentwicklung etc.) Akzente gesetzt werden sollen. Noch sind Kooperationen zwischen den WfbM eher selten anzutreffen und das "Einzelkämpfertum" überwiegt. Doch eine Vielzahl am Markt tätiger Unternehmen zeigen WfbM die darin liegenden Perspektiven und Wettbewerbsvorteile auf.
In begründeten Einzelfällen kann die Fusion von WfbM zu beachtlichen Synergie- und Einsparpotenzialen mit erfolgversprechenden Markchancen führen. Überzeugungsarbeit, transparentes Management und die frühzeitige Einbindung des Personals in den Integrationsprozess sind bei einer anstehenden Fusion zwischen WfbM unerlässlich und entscheiden über Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens. Wie bereits in Tabelle 4 skizziert, lassen sich vergleichbare Effekte durchaus auch für die sozial-rehabilitativen Aufgabenstellungen gewinnen (vgl. ARNOLD 2001).
2.2 Sozial-rehabilitative Sicht
"(Geistige) Behinderung ist eine aus dem Bezug zwischen dem in wichtigen Handlungsdispositionen (wie Wahrnehmung, Bewegung, Sprache, Denken ...) mehr oder weniger beeinträchtigten Individuum und der Alltagswirklichkeit resultierende Beeinträchtigung des Erwerbs von Qualifikationen, die zum Erleben und zur qualifizierten Partizipation an der komplexen, zeichenhaft verfassten, gesellschaftlich bestimmten und in spezifischen Handlungsfeldern ausdifferenzierten Alltagswirklichkeit notwendig sind, und damit einhergehend eine Beeinträchtigung in der Entwicklung der Person (Personalisation, Identitätsfindung), was zusammen eine besondere Hilfe beim Erwerb solcher Qualifikationen, beim Erleben und Handeln in der Alltagswirklichkeit und bei der Entwicklung der Person notwendig macht. Geistige Behinderung erweist sich, so gesehen, als spezifische Ausprägung einer allgemeinen Behinderung einzelner in komplexen Gesellschaften" (PFEFFER 1983, 106).
Auf der Grundlage dieses von PFEFFER bereits 1983 vorgelegten Ansatzes einer handlungstheoretisch orientierten Beschreibung von (geistiger) Behinderung erweist sich die individuelle Situation von Erwachsenen mit (geistiger) Behinderung als das Resultat aus dem Bedingungsgefüge der "individuellen Beeinträchtigung der Handlungsdispositionen" (ebd. 106) und der konkreten Alltagswirklichkeit, die ihrerseits in ihrer Vielgestaltigkeit durch die Sichtweisen von Behinderung der jeweiligen Sozietät sowie deren Normen und Vorstellungen und den daraus abgeleiteten Lebensbedingungen geprägt und bestimmt wird (vgl. KOBI 1983).
Die Entwicklungen seit Gründung der ersten Werkstätten zeigen, dass das Kernproblem, nämlich die Schaffung einer diese Konstituenden berücksichtigenden Konzeption, bis heute - sieht man von Teilaspekten ab – bei allen zu verzeichnenden Fortschritten nur bedingt einer Realisation näher gebracht werden konnte, da auch gegenwärtig immer noch Menschen vom Besuch der Werkstatt ausgeschlossen werden bzw. nicht ihren individuellen Bedürfnissen gemäß in die Arbeits- und Rehabilitationsprozesse integriert werden (können).
Ein wesentlicher Schlüssel, diesem Anspruch gerecht zu werden, liegt in der sozial-rehabilitativen Kompetenz der in Werkstatt für Menschen mit Behinderung Verantwortlichen und Tätigen, d. h. in der Verfügbarkeit von Schlüsselkompetenzen, die sowohl menschenwürdige Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung sichern als auch jedem Menschen individuelle Lebensgestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die ein Leben in Selbstbestimmung und sozialer Integration garantieren.
Unter Verwendung der in Erziehungswissenschaft, Psychologie und Ökonomie gebräuchlichen Terminologien lassen sich folgende übergeordnete Kompetenzen identifizieren (vgl. LÖWISCH 2000/ROTH 1971/ZAHN 1992/FAIX & LAISER 1992): Subjektkompetenz zielt in zwei Richtungen:
Die Beziehung zur oder zum Anderen und die Beziehung zu sich selbst.
Die Beziehung zum Anderen wird in der pädagogischen Tradition mit vielfältigen Begriffen und impliziten Konzeptionen beschrieben, so spricht Johann Friedrich Herbart vom "Pädagogischen Takt", Hermann Nohl vom "Pädagogischen Bezug", "Umfassung" oder "Dialogisches Verhältnis" sind die Beschreibungen von Martin Buber. Immer geht es hier in hohem Maße um die Beziehung zur oder zum Anderen, um das Einfühlen in die Erlebnisweise der anderen Person, womit auch die Begriffe "Sympathie" und "Empathie" angesprochen werden. Heinrich Lenzen hat diese Fähigkeit in der Heilpädagogik als "Konviktion" beschrieben, als eine Fähigkeit, die im Sinne des Fremdverstehens die Aspekte "Annähern", "Einfühlen", "Verstehen" und "Akzeptieren" umfasst, aber auch ganz unspektakulär meint, ein Stück des Weges mit der oder dem Anderen gehen (vgl. LENZEN 1996).
Die zweite Richtung umschreibt die Beziehung der Heilpädagogin / des Heilpädagogen zu sich selbst und zielt damit vornehmlich auf den Umgang mit sich selbst und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstreflexion. Sachkompetenz umfasst sowohl den fachwissenschaftlichen Kenntnisstand als auch die wissenschaftstheoretischen Grundlagen des Faches. Sie gründet
zum einen auf umfassendem theoretischen Fachwissen und zum anderen auf der Fähigkeit eines theoriegeleiteten Umgangs mit den Anforderungen in sozial-rehabilitativen Handlungsfeldern. Handlungskompetenz bezieht sich auf Diagnostik, Gestaltung sozial-rehabilitativer Situationen und Überprüfung von Prozessen.
Diagnostische Kompetenz meint die Fähigkeit der Informationsgewinnung/ der Informationsdokumentation und der Informationsauswertung sowie die Erstellung von Gutachten in der förderdiagnostischen Praxis. Diagnostische Kompetenz bezieht sich auf die Erstellung von individuellen Entwicklungsplänen als integrierende Zusammenfassung der diagnostischen Informationen sowie die Planung von individuellen Fördereinheiten.
Kompetenz in der Gestaltung sozial-rehabilitativer Situationen beschreibt die Fähigkeit der Beurteilung, Entwicklung, Planung und Durchführung etablierter oder zu etablierender Leitkonzepte.
Kompetenz in der Evaluation meint schließlich die Fähigkeit zur fortlaufenden Reflexion und Effizienzkontrolle. Diese verbindet sich mit Tugenden wie Bereitschaft zur Selbstkritik, zur empirisch-rationalen Überprüfung eigenen Tuns und zur Ehrlichkeit gegenüber eigenen Fehlern. Selbstverständlich gehört dazu auch die Tugend, Wissen und Kompetenzen laufend verbessern zu wollen (vgl. HAEBERLIN 1996, 348). Beratungskompetenz geht über die alltagssprachliche Bedeutung Rat geben und Informieren hinaus und meint im pädagogisch-psychologischen Kontext Hilfe zur Selbsthilfe in Problemsituationen, d. h. Unterstützung in der Auseinandersetzung und Verarbeitung von kritischen Ereignissen mit der Zielsetzung persönlicher und situativer Veränderung und kann sich auf verschiedene Personen oder Zielgruppen (behinderte Mitarbeiter, Gruppenleiter, Eltern, Familie usw.) beziehen. Vorherrschende Methoden sind das informative Gespräch bei gezielt-konkreten Fragen und die nichtdirektive Gesprächsführung bei psychologischen Fragen und Problemen. SPECK versteht Beratung als kooperative Verständigung zweier autonomer Systeme, die zueinander in Interdependenz stehen. Inwieweit eine Beratung allerdings erfolgreich ist, hängt wesentlich von den folgenden Grundqualitäten des Beraters ab:
" - Realitätsoffenheit und Empathie,
- Zuhören können und Selbstkontrolle,
- die Bereitschaft zu Akzeptanz und Toleranz,
- eine positive Grundeinstellung im Sinne offener Lebensperspektiven
- eine verständliche und zum Gespräch einladende Sprache,
- das Bemühen um Redlichkeit und Sachlichkeit,
- die Bereitschaft zur Revision eigener Urteile und bei situativ gegensätzlichen Sichtweisen das unaufdringliche Klären des eigenen (fachlichen und moralischen) Standpunktes" (SPECK 1996, 292). Kooperationskompetenz bezieht sich auf die Bereiche Kommunikation, Beratung und Begleitung (im Sinne von Assistenz), aber auch auf die Fähigkeit zu interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Im Kontext der gegenwärtigen Paradigmendiskussion, die wesentlich von den Forderungen nach Realisation von Selbstbestimmung, Normalisierung und Integration bestimmt wird, kommt diesen Kompetenzen als notwendige Methoden und zugleich als Haltungen besondere Bedeutung zu. Kooperationskompetenz zielt damit über die jeweilige Situation hinaus, indem sie eine Kernforderung zur Verbesserung der Lebensqualität umschreibt und zum individuellen Glück betroffener Personen wesentlich beiträgt. Für Martin Hahn ist ‘Glücklichsein’ ... die Balance zwischen größtmöglicher Unabhängigkeit, die der eigenen Verantwortung angemessen ist, und der Abhängigkeit von anderen Menschen, wobei die Abhängigkeit im wesentlichen der eigenen Bedürfnisbefriedigung dienen muss (vgl. HAHN 1981). Bereits der Deutsche Bildungsrat formulierte 1973 Innovation als eine der grundlegenden Kompetenzen pädagogischer Qualifikation. Innovation bezieht sich auf alle Fragestellungen und Aufgabenbereiche der Heilpädagogik im Sinne planvoller Veränderung und Weiterentwicklung und Umsetzung heilpädagogischer Konzepte, Systeme und Theorien. Als Beispiele können die entwickelten Förderkonzeptionen für Menschen mit schwerer Behinderung, der Paradigmenwechsel, die Fragen der Ethik, ... usw. genannt werden. In der Verantwortungskompetenz fokussieren die bisher beschriebenen Kompetenzen, da sie unter dem Leitgedanken der Verantwortung zu subsumieren sind. Verantwortung bezieht sich nicht nur auf eine einzelne Person, und sie beschränkt sich auch nicht auf eine eng umgrenzte Situation, sondern Verantwortung ist auf größere soziale Zusammenhänge und fachliche Kontexte gerichtet. Sozial-rehabilitatives Handeln wird aus der Perspektive des anderen gesehen und ist, wie SPECK formuliert, aus der Verantwortung für das Ganze bestimmt (vgl. 1996, 171). Sozial-rehabilitative Kompetenzen zeigen eine hohe Affinität zu Kompetenzen in anderen Berufs- und Handlungsfeldern, d. h. sie erfordern über notwendige Emotionalität hinaus weitere ausgebildete Persönlichkeitsmerkmale sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten, um den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen und Aufgabenstellungen entsprechen zu können.

3. Abschließende Gedanken

Es ist zu wünschen, dass es gelingt, auf der aktuellen gesetzlichen Grundlage sowohl die heterogenen institutionell-organisatorischen Konzepte als auch die Vielfalt der inhaltlichen und methodischen Konzeptionen der Ökonomie, die in den jeweiligen Einrichtungen richtungsweisend und praxisrelevant sind, so zu gestalten, dass zukünftig kein Mensch mit Behinderung vom Besuch der etablierten Institutionen ausgeschlossen werden wird. Dazu ist es allerdings notwendig, dass alle in der Werkstatt tätigen Professionen interdisziplinär zusammenwirken, um durch Synergieeffekte Ressourcen zu nutzen und Kapazitäten zu schaffen, die ermöglichen, die anstehenden Aufgaben zu erkennen und konstruktive und richtungsweisende Lösungen zu erarbeiten. Nur bei Erfüllung dieses Anspruchs kann die Werkstatt als wesentlicher den Alltag behinderter Menschen bestimmender und strukturierender Lebensraum ihren umfassenden gesellschaftlichen Auftrag erfüllen und den ethisch-moralischen Ansprüchen einer humanen Gesellschaft dauerhaft gerecht werden.
 

Fußnote:

1  Eingedenk der mit dem Begriff "Kunden" einhergehenden Kritik, werden hierunter sowohl die Menschen mit Behinderung als auch die Auftraggeber verstanden.


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URL:http://www.gata-verlag.de/prob90.htm; Stand: 12.06.2002 

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